…is not gold. Oder: Was geschah mit dem Palast der Republik?

Zyniker mögen behaupten, dass es sich um Leichenfledderei im großen Stil handelt. Misanthropen, dass das alles absehbar und sowieso klar war. Und wieder andere, dass man wenigstens aus einem Teil der Ressourcen etwas Brauchbares gemacht hat. Fakt ist jedenfalls, dass der Palast der Republik vor seinem Abriss, oder sollte ich sagen Rückbau, schlappe 120.000.000,-€ wert war, inklusive etwa 20.000 Tonnen Stahl und 4.000 Glasscheiben, die großen von ihnen jeweils 390kg schwer.

cocaine

//Foto: Michael Hoelzl©2010VG-Bildkunst-Bonn//

 

Der Stahl wurde zum Teil nach Dubai und in die Türkei verkauft, ein anderer Teil wurde eingeschmolzen und zu VW-Motoren, MAN-Motoren und Kettengliedern für Raupenfahrzeuge verarbeitet. Die Scheiben wurden unentgeltlich vergeben, sofern man einen Antrag dafür stellte und eine spätere künstlerische oder gemeinnützige Verwendung nachwies. Von den ursprünglich mehreren tausend wurden schließlich ganze 210 Scheiben einer neuen Nutzung zugeführt. Der Rest zerbrach beim Abbau und landete auf riesengroßen Scherbenhaufen auf dem Schlossplatz oder bekam durch unsachgemäße Lagerung bis zum Abtransport einen Sprung und musste ebenfalls entsorgt werden.

Die verbleibenden 210 Scheiben aber wurden von dankbaren Künstlern und Architekten geborgen und in einen neuen, manchmal auch skurrilen Kontext eingebunden.

Seit seinem Tagesausflug, den der Rentner Rainer Boddin im August 2006 aus dem 121km entfernten Langnow in die Hauptstadt unternahm, ist er in seiner 28 Seelen starken Heimat bekannt wie ein bunter Hund. Als Privatmann hat er eine der seltenen Ausnahmegenehmigungen für den Erwerb von Palastscheiben erhalten und die beiden ergatterten 62-mal-58cm großen Reliquien umgehend in seinem Gartenhaus verbaut. Seitdem führt er immer wieder Kamerateams, Journalisten und neugierige Nachbarn über seinen privaten Grund und erzählt die abenteuerliche Geschichte der Herkunft seines weit gereisten Baumaterials.

detail2

//Foto: Michael Hoelzl©2010VG-Bildkunst-Bonn//

Einige der Scheiben wurden in einem Kreuzberger Loft verbaut, das über eine Location-Agentur als Setting für Werbe-, Film- und Fernsehproduktionen angeboten wird. Zwei Berliner Architekten haben in der Wolliner Strasse in Berlin Mitte ein Recyclinghaus aus Plattenbauteilen und Scheiben des Palasts der Republik errichtet. Und in der Nähe von Nizza hat ein Künstler einen Minipalast, mit Originalscheiben und Mobiliar aus dem Volkskammersaal, errichtet. Die wohl, im wahrsten Sinne des Wortes, pragmatischste Nutzung, hat sich ein in Berlin lebender österreichischer Fotograf und Designer ausgedacht, der die von ihm erworbenen Scheiben kurzerhand als noble Schreibunterlage für sich selbst und andere Kunst- und Kulturschaffende umfunktioniert hat. Eingebettet in exakt gearbeitete Stahlrahmen, die in der Farbe der Originalträger des Palastes lackiert wurden, bilden die Scheiben nun den golden spiegelnden Boden für hoffentlich bald vergoldete Ideen. Wenn das nichts für urbane Goldgräber ist.

Geschätzter Gebäudewert des Palast der Rebublik vor Abriss: 120.000.000,-€

Abrisskosten: 90.000.000,-€

Asbestbeseitigung: 32.000.000,-€

Anzahl der Anträge bei der Senatsbauleitung für die Abholgenehmigung von Palastscheiben: 67

Genehmigte Anträge (pro Antrag Freigabe für max. 5 Scheiben): 42

Anzahl der vergebenen Scheiben: 210

Anzahl der Scheiben vor Demontage: 4.000 (Zeugen sagen jedoch, dass man vor Ort durchaus sehen konnte, dass das Ausbauen der Scheiben sehr kompliziert war…)

 

Dieser beitrag wurde auch auf Sounds-Like-Me veröffentlicht.