(Macht nichts.)

Im Atelier des Wiener Künstlers, bei dem ich im Sommer ein paar Tage wohnte, klebte an der Wand ein kleines, weißes Blatt Druckerpapier, auf der die etwas ungelenk aussehende Zeichnung eines Händepaars zu sehen war, das sich in flehentlicher Geste aneinanderschmiegte. „F., es macht nichts, wenn Du nicht gut bist“ stand darüber, sorgfältig aber leicht verwackelt, mit dünnem Buntstiftstrich. Vom ersten Augenblick zog diese Zeichnung mich magisch an. „Quatsch,“ dachte ich und ärgerte mich über den Satz.

 

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//Foto: Michael Hoelzl©2009VG-Bildkunst-Bonn//

 

Dann wurde aus dem „Quatsch“ ein „Mmh,“ und schließlich – längst wieder zurück in Berlin – kam mir ein „Ja, genau so ist es!“ in den Sinn, wann immer ich an diese Zeichnung dachte. Ich musste oft an diese Zeichnung denken, und sie beschäftigt mich noch immer.

 

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//Foto: Michael Hoelzl©2009VG-Bildkunst-Bonn//

 

Was ist das eigentlich, „Gut Sein?“Bezeichnet es eine charakterliche Eigenschaft, das „Lieb Sein,“ im Sinne von Gehorsam? Ist es die eigene Performance in Bezug auf den Beruf den man gerade ausübt oder ausüben möchte, ist es die Ausbildung? Eine Leistung, für die man gelobt wird? Oder die generelle Funktionstüchtigkeit im Alltag? Und überhaupt, was heißt das denn alles? Was bedeutet „Funktionieren?“ Wer sagt, wie die genaue Definition ist und muss diese nicht zwangsläufig immer wieder individuell definiert werden, weil wir eben nicht alle genau gleich getaktete Maschinen sind?

 

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//Foto: Michael Hoelzl©2009VG-Bildkunst-Bonn//

 

Wer Erfolg hat, ist auch selbstbewusst und hat es generell ein bisschen leichter. Der Erfolgreiche, Gute hat sich den Platz in unserer Gesellschaft redlich verdient. Er erwirtschaftet Überschuss, von dem die Gemeinschaft freundlicherweise nutznießen darf. Wie schön, wenn auch im Privatleben, also zu Hause, alles nach Gardemaß und im Lot ist. Heterosexuelle Beziehung, bitte monogam, zwei Kinder, Küche, Bad. Der Gehaltscheck trifft pünktlich auf dem Konto ein, die Beförderung ist schon in Sicht und das SUV steht vor der Tür. Die „innere Zeitschaltuhr“ meldet: Plansoll im Zeitrahmen erfüllt. Glückwunsch! Oder?

 

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//Foto: Michael Hoelzl©2009VG-Bildkunst-Bonn//

Was für den einen das Paradies ist, ist für den anderen vielleicht die Hölle. „Gut“ fühlt sich für jeden anders an, immer wieder anders. Was gestern „gut“ war ist morgen vielleicht „flau“ und übermorgen „blöd.“ Ist es nicht besser, offen zu sein, für das was kommt und sich (hoffentlich) nicht festzufahren in selbst angelegten Normfesseln? Wer braucht schon Dogmen? Was mich betrifft, möchte ich etwaige Tabus und No-Gos immer wieder aufs Neue ausloten. Und ich will scheitern!

Und schon bin ich vom „Gut Sein“ beim „Versagen.“ Ein schmaler Grat, nicht nur verbal.

Im Gegensatz zu immanentem Erfolg birgt das Scheitern ungeheure Chancen. Zwingt es uns doch, uns mit uns selbst und den eingeschlagenen Wegen auseinanderzusetzen, bevor sie eingefahren sind. Das Versagen zeigt uns, wo unsere Schwächen sind und es beleuchtet mögliche Wege mit ihnen umzugehen, oder bringt uns dazu, neue Stärken an uns zu entdecken. Vielleicht ist es für den einen passend, sein Studium in Rekordzeit zu vollenden, der andere mag mit ausgedehnten Reisen im gleichen Lebensabschnitt besser liegen. Wer legt denn die Reihenfolge fest, was wann zu passieren hat?

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=3TWBSMc47bw[/youtube]

//”A clip from the beautiful documentary on Andy Goldsworthy, “Rivers and Tides”. If you enjoy this clip, please support his work by purchasing the dvd. In this clip he works on hanging a meticulous sculpture from a tree, and ultimately fails.”//

Genormte Lebensläufe fand ich schon immer langweilig. Eine Norm spiegelt vielleicht das, was viele tun. Sie bedeutet aber noch lange nicht, dass unser aller Glück darin liegt, genau diese zu erfüllen. Ich finde, dass Normvorstellungen vom erfolgreich gelebten, guten Leben, unsere „inneren Zeitschaltuhren,“ abgeschaltet gehören. Und dass wir uns vor dem Scheitern nicht zu fürchten brauchen. Es macht nichts, wenn wir nicht gut sind.

 

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