„Alles verstehen heißt, alles verzeihen; – das wäre sehr edel gedacht und gesagt. Nur schade, dass Verzeihen neunundneunzig Mal unter hundert aus Bequemlichkeit und höchstens einmal aus Güte geschieht und dass die Güte unter hundert Fällen neunundneunzig Mal keineswegs in Reichtümern des Herzens sondern vielmehr in Mängeln des Verstandes ihre Ursache zu haben pflegt.“
Arthur Schnitzler
Nachtragend zu sein, ist eine unbequeme Eigenschaft. Unbequem für einen selber, weil man sich weder gedanklich noch emotional von Situationen lösen kann, die der Vergangenheit angehören und man im Laufe des Lebens immer mehr Situationsballast mit sich herum trägt. Unbequem auch für alle, die sich damit auseinandersetzen und sich die strittige Geschichte zum wiederholten Male anhören müssen.
Zwar funktioniert unser Gedächtnis so, dass es immer mal wieder selten aufgerufene Bereiche aus dem Arbeitsspeicher löscht, wenn das Zellsystem zu voll wird (das sind dann zum Beispiel die Situationen, in denen man jemanden trifft, von dem man weiß, dass man total sauer auf ihn ist, sich aber nicht mehr erinnern kann, weswegen), aber seine Gehirnzellen mit unangenehmen, ärgerlichen, kompromittierenden oder peinlichen Geschichten zu belegen, ist sicher nicht die angenehmste und vermutlich auch nicht die beste aller Optionen.
Wie viel erleichternder ist das Vergeben und Vergessen. Lieber Verzeihen und Gehirnplatz freigeben. Lieber Kroatisch lernen, kaukasische Kinderlieder auf dem Klavier klimpern können, Kinofilme auswendig nacherzählen, oder was auch immer. Amen.
„Der Schwache kann nicht verzeihen. Verzeihen ist eine Eigenschaft des Starken.“
Mahatma Gandhi
Das mag ja sein. Aber wer kann schon von sich behaupten, immer stark zu sein? Und ist das überhaupt erstrebenswert? Ich kann jeden verstehen, der etwas nicht verzeihen kann. Es ist nicht immer alles verzeihlich. Die ganz schlimmen großen Dinge sind es nicht und werden es nie werden. Und die ganz kleinen sind es auch nicht immer… niemand kann für jemand anderen bestimmen, was noch verzeihlich ist und was nicht. Vielleicht gibt es Situationen, die man nur dadurch ertragen kann, dass man sie eben nicht verzeiht. Und eben wieder andere, die erst durch das Verzeihen abgeschlossen und so endgültig der Vergangenheit zugeführt werden können.
„Gewonnen hat immer der, der lieben, dulden und verzeihen kann.“
Hermann Hesse.
Seit wann geht es denn nur ums Siegen? Ist eine Niederlage nicht manchmal leichter zu ertragen? Und wer sagt, dass das Verzeihen immer eine Erleichterung ist? Oder ist es manchmal auch erleichternd, sich selbst zu gestatten, nachtragend zu sein? Was ist also besser? Das Verzeihen können, oder das Nicht-Verzeihen können… Ich halte mich da gern an Karl Raimund Popper: „Durch unser Wissen unterscheiden wir uns nur wenig, in unserer grenzenlosen Unwissenheit aber sind wir alle gleich.“
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